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Writer's pictureMarkus Brandstetter

Wolfgang Haffner im Gespräch: "Selbstbesinnung ist ja auch eine Kraftquelle!"

Updated: Nov 18, 2021



Der bekannteste Jazzschlagzeuger Deutschlands stellte sich seine Traumband zusammen — und geht damit auf Tour. Dabei sind in Wolfgang Haffner's Dream Band alte, zum Teil sehr prominente Weggefährten des Musikers mit an Bord.


Randy Brecker, Nils Landgren, Bill Evans: Wer solche Kaliber als Sidemen in seiner Band hat, hat in seiner Karriere einiges richtig gemacht. Wobei Sidemen in diesem Fall vielleicht etwas zu kurz gegriffen ist — schließlich lädt Haffner als Mastermind, Chefdramaturg und Zeremonienmeister eine Reihe von Virtuosen und in seinen Worten "Weltmeister der Improvisation" auf Augenhöhe zur gemeinsamen Konzertreihe.


Seit er im Alter von 18 Jahren in der Band von Jazzlegende Albert Mangelsdorff engagiert wurde, ist Wolfgang Haffner einer der umtriebigsten und bekanntesten Musiker der Bundesrepublik. Er spielte in etlichen Bands, darunter in Klaus Doldinger’s Passport, arbeitete mit Michael Brecker, Randy Brecker, Nils Landgren, Till Brönner und zahlreichen anderen Größen. Mittlerweile konzentriert sich Haffner ganz auf sein Solo-Schaffen. Schon sein Debütalbum "Shapes" war ein voller Erfolg und wurde mit einer goldenen Schallplatte ausgezeichnet. In den letzten Jahren ging’s Schlag auf Schlag mit tollen Platten: "Kind of Cool" (2015), "Kind Of Spain""(2017), "4 Wheel Drive" gemeinsam mit Michael Wollny, Nils Landgren und Lars Danielsson (2019) sowie "Kind of Tango" (2020).

 

Markus Brandstetter: Du gehst demnächst mit der Wolfgang Haffner’s Dream Band auf Tournee — und darin sind einige große Namen, mit denen du zum Teil auch schon lange zusammengearbeitet hast.


Wolfgang Haffner: Ja, unter anderem mit Randy Brecker, durch den ich meinen einzigen Grammy bekommen habe – beziehungsweise er hat ihn bekommen für ein Album, auf dem ich mitgespielt habe. Neben Randy sind auch Bill Evans, Nils Landgren, Simon Oslender, Christopher Dell und Thomas Stieger mit dabei — allesamt meine Herzensmusiker. Es war mein Traum, sie in einer Band vereinigen zu können. So blöd die Corona-Zeit auch war, für die Terminfindung war sie relativ praktisch. Keiner wusste, wann man wieder mit Konzerten anfangen konnte. Wir haben dann vor einem Jahr diese Tour geplant und eben gehofft, dass es klappen wird. Bis vor ein paar Monaten wussten wir das ja noch nicht. Von daher war es relativ einfach, diese Band zusammenzubekommen. In einer "normalen" Zeit wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, weil jeder einen so wahnsinnigen Kalender hat. Ich bin total happy und habe das Programm über die letzten Monate zusammengestellt. Es werden etliche meiner Stücke zu hören sein, aber auch einzelne von Bill, eines von Nils, eines von Randy… Stücke, mit denen ich eine Verbindung habe. Der gesamte Abend ist für mich ein Traum — und auch, dass ich mit diesen Leuten unterwegs sein kann, mit Randy und Bill seit dreißig Jahren. Daher auch der Name "Dream Band". Es macht immensen Spaß. Ich stelle gerne Programme zusammen, Strategien, wie man den Abend angeht. Jeder Song muss eine Berechtigung haben. An jeder Stelle ist genau das Stück, das auch der Link zum nächsten ist. In den letzten Monaten haben wir da viel daran gearbeitet. Wir, das heißt natürlich in erster Linie ich, aber auch mein Team, mein Techniker, mein Lichttechniker, mein Tontechniker. Es wird visuell etwas ganz besonderes werden. Es wird ein Abend, an den man sich erinnert.


Waren die anderen Musiker in die Dramaturgie involviert?


Nein. Ich habe auch gelernt: Je mehr Leute man fragt, desto mehr Antworten kriegt man. Ich frage nur dann, wenn ich mir bei etwas nicht sicher bin. Bei so einem Programm gehe ich bis fünf Minuten vor der ersten Show schwanger. Das macht immensen Spaß. Ich erinnere mich noch, als ich als kleines Kind das Schlagzeug entdeckt habe und jeden Tag auf etwas Neues stieß: So ist es beim Planen auch. Es ist wie eine Spielwiese. Es gibt tausend Ansätze: Du kannst alleine anfangen oder mit der ganzen Band, mit etwas Schnellem oder mit einer Ballade. Es gibt die offensichtlichen Möglichkeiten und die nicht offensichtlichen. Ich mochte immer die nicht offensichtlichen. Wir haben jahrelang mit dem damaligen Wolfgang Haffner Trio mit Balladen angefangen. Egal, wer vor uns gespielt hat. Einmal spielte Maceo Parker vor uns auf einem Festival — und wir gingen hin und [imitiert langsamen Jazzbesen-Beat] spielten eine Nummer, die langsamer als langsamer war. Solche Dinge muss man natürlich auch entsprechend rüberbringen können, es erfordert eine gewisse Ruhe bei allen Beteiligten. Aber bei den Musikern, die in meinen Bands spielen ist das nie ein Problem – die spielen ja auch in meiner Band, weil sie diese Ruhe haben! Als ich vor einem halben Jahr mit dem Programm angefangen habe, ging es noch mit einem Flash los. Jetzt tendiere ich wieder in eine ganz andere Richtung.


Phil Collins ist einer meiner großen Einflüsse — beziehungsweise Genesis. Es gibt eine Phil-Collins-Show, bei der alleine auf die Bühne kommt und Schlagzeug spielt. Irgendwann stehen dann fünfzehn Leute auf der Bühne. Ich habe das mal live gesehen — man erwartet, dass es jeden Moment knallt, aber es knallt einfach nicht gleich. Das zieht sich auch durch meine Show: Dieser Bruch mit Erwartungen. Ich möchte keine Erwartungen erfüllen. Natürlich, die Menschen nehmen Geld in die Hand und erwarten sich, einen tollen Abend zu haben. Es wird kein Jazzabend nach dem Schema XY. Überhaupt nicht.

Die Proben finden in der Woche vor der Tour statt?


Genau, wir proben zwei Abende, dann spielen wir eine Show ohne Nils. Anschließend kommt Nils dazu, der davor mit seiner Funk Unit beschäftigt ist. Dann proben wir nochmal — das sind dann Produktionsproben mit Licht und allem. Dann geht’s los. Das wichtigste ist ja die Basis einer Band — die Rhythmussektion. Du kannst die tollsten Solisten haben, wenn es hinten nicht rollt, kannst du’s gleich sein lassen. Und unsere Basis rollt natürlich wie das Pferd — denn es ist ja mein Trio, mit Simon und Thomas. Kennst du Thomas? Ein Wahnsinnsbassist!. Simon hatte ihn mir vor zwei Jahren für eine Asientour empfohlen. Als er das erste Mal mit mir auf der Bühne stand, dachte ich nur: Wo warst du all die Jahre? Neben dem Trio ist Christopher Dell dabei, mit dem ich allen "Kind Of"-Bands gespielt habe — also auf den Alben "Kind Of Cool", "Kind Of Spain" und "Kind Of Tango". Chris kennt diesen Kosmos auch. An Tag zwei kommen dann Bill und Randy dazu. So baut sich das immer mehr auf. Anders wäre das auch nicht gegangen: Bill ist mit Mike Stern auf Tour, fliegt zwei Tage nach Hause und kommt dann zu uns. Am Tag vor der ersten Hallenshow geht’s dann richtig zur Sache.


Wie kam es eigentlich zur Zusammenarbeit mit Randy Brecker? Du hattest ja auch mit seinem Bruder, dem 2007 verstorbenen Michael Brecker gespielt.


Gute Frage, das weiß ich selbst nicht mehr. Randy habe ich irgendwann mal auf einem Festival kennengelernt und dann spielten wir zusammen. Dasselbe gilt für Bill: Irgendwann standen wir plötzlich zusammen auf der Bühne. (überlegt) Es gab irgendwann mal ein Festival in Nürnberg, und die gaben mir eine Wildcard für den Abend. Da habe ich Randy rübergeholt. Das war 1990. Aber ich bilde mir ein, wir haben 1989 schon mal gemeinsam gespielt. Es begann jedenfalls um diese Zeit herum. Als ich Randy getroffen habe, hat es sofort klick gemacht. Ein Wahnsinnstyp. Zur gleichen Zeit habe ich, unabhängig von Randy, Michael Brecker kennengelernt.


Mit Nils Landgren verbindet dich ebenfalls eine langjährige Zusammenarbeit – du warst auch Teil seiner Nils Landgren Funk Unit, er hat auch bei "Kind Of Cool" mitgespielt.


Ja, er war zufällig in der Stadt, hatte die Posaune dabei und kam vorbei — und schon war er auf dem Album! Ich habe acht oder neun Jahre in seiner Funk Unit gespielt. Wir haben eine Riesen-Welttour mit dem Album "Funky Abba" gespielt. Wir waren fünfmal in Asien, in Südamerika. Ich war insgesamt so in 100 Ländern auf der Welt und mit Nils war ich wahrscheinlich in 40 bis 50. Mit kaum einem anderen Musiker habe ich so viel getourt wie mit Nils. Mit allen Besetzungen: Nils Landgren Quartet, Quintet, Sextet, Big Band, Sinfonieorchester. Das macht einen Heidenspaß, wir sind sehr gute Freunde. Wir spielen auch in dem Quartett 4 Wheel Drive zusammen. Da gab es einen Abend mit Nils Landgren and Friends — und beim Essen überlegten wir, was wir so machen könnten. Und daraus wurde vor zwei Jahren das erfolgreichste Jazzalbum in Deutschland in jenem Jahr. Ich hab eine Zeit lang auf fast allen von Nils’ Platten gespielt, angefangen mit "Sentimental Journey". Ich habe auch einige Stücke für die Funk Unit geschrieben, Nils produzierte dann mein Album "Shapes". Damit kam ich ich dann zu ACT, was ein Ritterschlag war. Mit Nils verbindet mich extrem viel, auf einer musikalischen Ebene sowieso, wir spielen fast schon blind zusammen — aber auch auf einer persönlichen. So ist es mit allen in der Dream Band. Das Musikalische ist die eine Sache, aber wenn es mit jemandem menschlich nicht so gut läuft, könnte ich mit ihm auch nicht zusammenspielen. Das ist für mich untrennbar verbunden. Du hast ja noch 22 weitere Stunden am Tag, die du mit diesen Leuten verbringst, nicht nur die zwei Stunden auf der Bühne. In dieser Band sind alle Mitglieder tolle Menschen und die besten Spieler, die ich mir vorstellen kann. Und auch drumherum sind nur meine Herzensmenschen — an jeder Position sitzt genau die Person, die ich dort haben möchte. Es ist ein Privileg, das haben zu dürfen.


Wenn wir mal keine Pandemie haben: Wie lange im Voraus musst du planen?


Das kommt darauf an. Wenn es nur um meinen eigenen Terminplan ginge, ist Deutschland ja nicht das Riesenland. Da kannst du nicht dreimal im Jahr touren, da würdest du dir selbst ins Knie schießen. Für meine eigenen Projekte könnte ich fürs selbe Jahr planen. Aber dann hast du jemanden wie Nils, der extrem beschäftigt ist. Simon, der auf seinem Weg nach oben ist. Chris Dell, der viel mit Christian Lillinger macht. Thomas Stiegler spielt ja auch bei Sarah Connor und Torsten Goods. Die großen Pop-Gigs sind lange im Voraus geplant. Auch die Konzerte in der Größenordnung, die wir mit der Dreamband spielen, brauchen normalerweise ein bis zwei Jahre Vorlauf. Das sind ja die klassischen Venues, die unglaublich gefragt sind. Ich spiele auch bei Thomas Quasthoff in der Band. Früher habe ich nie gefragt: "In welchem Jahr?" Wenn im Juli eine Anfrage für August kam, dachte ich immer automatisch: "Gut, das ist dann nächstes Jahr." Irgendwann habe ich [für Thomas Quasthoff] eine Anfrage zugesagt, und ein knappes Jahr später kam der Termin näher. Ich fragte "Und, wann fahren wir dann los?" Und dann hieß es: "Der Gig ist erst in zwei Jahren!".




Waren deine Eltern auch Musiker? Es gibt eine sehr schöne Doku über dich, in der du erzählst, dass dir deine Eltern geraten haben, trotz Schlagzeug auch beim Klavier zu bleiben — einfach, um eine kompositorische Basis zu haben. Das ist ein Ratschlag, den ich mir von Leuten erwarten würde, die selbst Musiker sind.


Beide waren Musiker. Mein Vater war Kirchenmusikdirektor. Meine Mutter war Hausfrau, aber hatte eine Organistenausbildung, sie hat auch Gottesdienste gespielt. Sie hatte drei Schwestern — und sonntags war oft die ganze Familie im Einsatz. Jeder spielte mindestens zwei Instrumente. Meine Mutter spielte neben Orgel auch Posaune und Geige. Wir waren ein totaler Musikerhaushalt.


Welche Musik war als Kind prägend?


Ich bin mit Bach aufgewachsen. Das war der Größte. Er vereint alles, was gute Musik nach meiner Meinung haben sollte. Die Harmonik… alles ist formvollendet. Bei Bachstücken denke ich mir oft: "Wie um alles in der Welt kommt er jetzt genau dahin? Für mein Gefühl ist alles gesagt". Oft fragt man sich bei Musikstücken, was einem der Komponist sagen will. Das habe ich bei Bach nie. Diese Bögen sind perfekt.


Hast du selbst viel Bach gespielt auf dem Klavier?


Die einfacheren Sachen. Ich weiß gar nicht mehr, wo ich dann ausgestiegen bin. Ich habe ab einem Zeitpunkt nicht mehr Klavier geübt. Ich habe viel gespielt, rumgeklimpert — und auch viele Stücke geschrieben. Eine Zeitlang habe ich auch sogar jeden Tag konsequent geschrieben — ehe ich mich dann vor einigen Jahren für eine Weile wieder nur aufs Schlagzeug konzentriert habe. Dann habe ich mich nur aufs Fahrradfahren konzentriert und das Üben sein lassen. Ich habe immer so Phasen. Wenn ich etwas zu viel mache, langweilt es mich irgendwann.


Wie sieht eine solche Schlagzeugphase bei dir aus? Übst du dann den ganzen Tag?


Nicht den ganzen Tag, aber es kann schon mal ein paar Stunden gehen. Im Moment ist das jedoch in weiter Ferne. Ich kenne mich, ich weiß, wie ich ticke und was ich wann und wie brauche. Es hilft mir nichts, wenn ich stundenlang irgendwelche Übungen mache. Ich weiß aber, dass ich diese Übungen eine halbe Stunde am Tag machen muss, um geläufig zu bleiben. Im Moment spiele ich jeden Tag vor der Tour. Ich hatte ja auch einige Konzerte, ich bin da also nicht ganz raus. Völlig kalt auf Tour zu gehen, wäre aber haarig. Man kann vor dem Fernseher sitzen und Übungen machen, das mache ich auch — das reicht, um fit zu bleiben. Das eigentliche Spielen am Schlagzeug, diese Bewegungsabläufe, das kenne ich alles. Du kannst mich im Schlaf wecken, und ich kenne die Abläufe. Aber die Geläufigkeit etwas ständig zu tun ist anders, als wenn man etwas tausendmal gemacht hat, aber nicht mehr drin ist. Es ist wie Fahrradfahren: Man kann es noch immer, aber die Kondition lässt einfach nach.


Wenn du also mal Wochen nicht gespielt hast, merkst du es deutlich?


Ja, das würde ich merken. Es geht ja um Muskeln, um Muskelaufbau. Ich mache regelmäßig Sport, ich schwimme jetzt wieder viel. In der "normalen" Zeit fliege ich ja viel durch die Welt — und da schleifen sich vom Sitzen Rückenprobleme ein. Durchs Schwimmen ist mein Körper in einem ganz anderen Flow — und das ist super zum Musik machen. Man geht mit einem anderen Bewusstsein ans Schlagzeug.


Wie bist du als Kind eigentlich zum Schlagzeugspielen gekommen?


Mein Vater war, wie ich vorhin schon erzählt habe, Kirchenmusikdirektor. Er hatte mit Jazz nichts zu tun. Von zwei Metern LPs waren in seiner Plattensammlung 1 Meter 90 Bach, 5 Zentimeter Beethoven, 2 Zentimeter Mozart und dann gab es noch zwei Jazzplatten. Das war die Aufteilung. Die eine Jazzplatte war von Albert Mangelsdorff, die andere von Dave Brubeck, "Time Out". Irgendwann war mein Vater eine Woche lang weg und meine Mutter meinte, er wäre beim Jazzkurs. Auf diesem Jazzkurs hat er ein Schlagzeug angeboten bekommen — und er hat es für die Gemeinde gekauft. Es war 1972, in den evangelischen Kirchengemeinden waren gerade die Familiengottesdienste aktuell. Eben nicht nur Hochpastorales, sondern Musik mit Gitarren. Diese neuen, populären Kirchenlieder, das gefiel meinem Vater. Deswegen besorgte er E-Gitarren, einen Bass, mehrere Verstärker und eben das Schlagzeug. Das stand alles in unserem Musikzimmer. Ich habe mich ans Schlagzeug gesetzt – und der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.


Welche Bands haben dich am Anfang beeinflusst?



Pink Floyd, Nick Mason ist einer meiner absoluten Helden. Nicht, weil er technisch so weit vorne wäre— aber er spielt einfach so stilbildend. Dann Charlie Watts, Ringo Starr — Jazzdrummer waren es zunächst gar nicht. Sweet fand ich besonders toll, weil der Drummer ein durchsichtiges Ludwig-Schlagzeug hatte— das sah spannender aus als ein Ringo-Set. Meine Schwestern waren alle ein paar Jahre älter als ich und haben Bands wie Stones, Beatles, Jethro Tull, Wishbone Ash und Yes mitgebracht. Dann kamen auch The Who und Uriah Heep, Emerson Lake & Palmer. Aber Pink Floyd, die Beatles und die Stones waren für mich die wichtigsten. Und dann kam Dave Brubeck und "Take Five". Das hat mich damals völlig umgehauen. Was ich vorhin über Bach gesagt hatte, gilt auch für "Take Five": Das ist Formvollendung, wunderschöne Harmonien, wunderschöne Melodien und das mit einer Liebe vorgetragen. Ich bin kein Typ, der sagt, dass früher alles besser war. Aber was damals anders war: Oft haben die älteren Musiker so eine Herzenswärme. Das stelle ich oft fest und habe den Grund dafür noch nicht wirklich erkunden können. Aber heute regiert oft dieses mit Gewalt anders sein wollen: Wenn du heut in vielen Szenen drei gleichmäßige Noten hintereinander spielst, wirst du schon nicht ernst genommen, sondern giltst als Kommerzheini. Einfach, weil du mal ein paar Takte hintereinander gerade spielst.


Im Jazz?


Generell, aber im Jazz natürlich am meisten. Dabei ist das die Grundvoraussetzung: Die guten Free-Jazz-Musiker, die ich kennengelernt habe, können sehr gut in time spielen. Aber die Eigenständigkeit war früher einfacher zu erlangen als heute. Das kann man jungen Musikern nicht vorwerfen. Heute kann jeder Youtube-Videos schauen. Die Ausbildungsmöglichkeiten sind immens. Du hast zwanzig Schüler, die alle zu einem Saxofonisten auf die Uni rennen. Die klingen dann halt meist alle gleich. Ich habe da mal eine Doku gesehen über Pink Floyd. Da ging es darum: Heutzutage hast du die Tretminen. Du brauchst Gitarrenhall 13,5 Sekunden Kölner Dom und drückst auf das Pedal. Das gab es damals nicht. Die überlegten, wie man mit künstlichen Hallräumen verrückte Sounds machen kann. Ich erinnere mich an meine erste Studioerfahrung, ich war 15. Da haben die das Signal von der Snaredrum über einen Verstärker, der im Treppenhaus stand, gespielt und oben über ein Mikrofon aufgenommen — um diesen speziellen Hall zu bekommen. Heutzutage kriegst du alles aus einer Tretmine, du kannst alles sofort abrufen. Aber das können halt Milionen Musiker auf der Welt auch. Deswegen klingt jemand wie Pink Floyd, der sich ein Jahr ins Studio eingeschlossen hat, ganz anders als alle anderen. Diese Leute haben experimentiert — und sie mussten das auch, weil es all das nicht gab. Es ist vermeintlich einfacher heutzutage, aber auch viel schwieriger. In dieser Riesenauswahl den Überblick nicht zu verlieren, das ist schwer. Überhaupt als junger Musiker. Du hast ein Wahnsinnsangebot.


Was ist dann dein Ratschlag an junge Musiker, um sich in diesem Dschungel an Möglichkeiten zurechtzufinden? Reduktion und Fokus auf eine Sache?


Ich würde ihnen ganz konkret eine Sache sagen: Hört aufs Herz, hört in euch hinein — auf das, was ihr wollt und nicht auf das, was euch irgendwelche Pappnasen da draußen einreden wollen, das ihr tun müsst. Man muss nämlich gar nichts, das ist ganz wichtig. Mir hat als junger Mensch auch niemand Ernstzunehmendes je gesagt: Mach das so oder mach das so. Leute wie Albert Mangelsdorff oder Klaus Doldinger gaben am ehesten mal väterliche Tipps, aber nie nach dem Motto: "Pass mal auf, junger Freund!". Sie machten vielleicht Vorschläge, wie man es machen KÖNNTE, wenn man es WOLLTE. Ich hüte mich eigentlich auch, jungen Musikern Tipps zu geben. Aber manchmal kennt man sich eben nicht mehr aus, mir geht das genauso. Dann klappe ich den Computer zu und bin einfach raus aus allem. Selbstbesinnung ist ja auch eine Kraftquelle.





Du hast mit sechs Jahren mit dem Schlagzeugspielen begonnen — warst du immer Autodidakt?


Die ersten sechs Jahre lernte ich autodidaktisch, von 12 bis 16 hatte ich einen Lehrer. Von 14 bis 18 hatte ich parallel zwei Lehrer. Der eine war Jazztrommler, der andere eher im Pop und Funk daheim. Das war eine sehr lehrreiche Zeit. Und ich habe schon früh viel gespielt. Oft war ich in zehn Bands gleichzeitig, ich frage mich heute, wie das ging.


Und als andere mit der Schule fertig waren, spieltest du schon mit Albert Mangelsdorff.


Mit Mangelsdorff spielte ich, seit ich 18 war. Ich erzähle die Geschichte gerne – das klingt konstruiert aber es stimmt wirklich: Am letzten Schultag bin ich aus der Schule raus direkt in den Tourbus reinmarschiert. Der hat vor der Schule auf mich gewartet, kein Witz. Ich bin mit der Büchertasche am letzten Schultag zum Gig gefahren.


Dir war also immer klar, dass du Berufsmusiker wirst?


Da gab es für mich nie ein Links und Rechts. Das war immer sonnenklar. Dass es diese Ausmaße annehmen würde, wusste ich aber nicht. Ich habe immer extrem genau Plattencover studiert, die Besetzungen, die Studios in New York. Ich habe das für mich in weiter Ferne gesehen. Die USA schienen weit weg. Irgendwann bin ich dann später über Jahre wöchentlich hin- und hergeflogen und es wurde immer normaler. Aber ich zwicke mich oft heute noch, wenn ich Leute treffe, deren Autogramme früher über meinem Bett gehangen sind. Simon Phillips, Ian Paice, Bertram Engel, der bei Lindenberg gespielt hat und der später ein sehr, sehr guter Freund wurde. Bertram Engel ist auch heute noch ein Maßstab. Das war für mich das Größte: eines Tages Schlagzeuger zu werden und davon leben zu können. Ich habe nie daran gezweifelt, dass es klappt — aber wie ich dahinkomme, wusste ich nicht.


Du hattest von Anfang an nie Berührungsängste mit irgendwelchen Genres, hast auch viele Sideman-Arbeiten im Pop-Bereich gemacht.

Ja, da gibt’s so manche Leichen im Keller, die ich jetzt nicht ausbreiten möchte. Von Volksmusik bis sonst was. Sachen, auf denen ich gar nicht mit Namen erschienen bin. Das macht mich aber ja alles zu dem, was ich heute bin. Es gibt vieles, was ich heute nicht mehr machen würde. Eben, weil ichs schon gemacht habe. Und weil ich mich heute darauf konzentrieren möchte, als Wolfgang Haffner besser zu sein. Nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich. In der Regel wird man ja auch ein besserer Musiker, wenn man menschlich weiterkommt.


Ich meinte übrigens das durchaus positiv – und nichts gegen die No Angels.


Ja, das war auch eine Mörderband, Till Brönner hat das damals produziert. In der Big Band spielten damals die besten Leute des Landes. Weißt du, ich habe immer Herausforderungen gesucht und bin auch manchmal auf die Nase gefallen. Ich fühle mich dann wohl, wenn ich ganz ich selbst sein kann. Ich habe mich aber auch oft in Situationen begeben, um Grenzen auszutesten. So habe ich halt eine große Erfahrung sammeln können, weil ich ständig am Machen war. Jetzt mache ich zwar auch viel, aber es dreht sich nur noch um meinen Kosmos. Ich bin genau da, wo ich hinwollte.





Das Sideman-Ding ist also komplett durch für dich?


Ja. Wenn ich heute als Sideman rausgehen würde, dann wäre es für Randy Brecker oder wenn mich Nils mal fragt. Ausgesuchte Sachen. Das wäre nur in diesem engsten Kreis — und auch da wäre ich sehr penibel. Weil man sich auch manchmal selbst im Weg steht. Es war gut, mich auf meine eigenen Sachen zu besinnen. Mich hat es immer interessiert, selbst Abende zu gestalten und es fällt mir auch zunehmend schwerer, Entscheidungen von anderen Leuten zu akzeptieren. Weil ich ganz genau weiß, was ich will. Es dauert manchmal, bis ich da hinkomme — aber ich hab das Gesamtbild von Tag eins im Kopf. Der Rest ist Finetuning.


Aber auch als Sideman habe ich natürlich eine gewisse Mitsprache, den Status habe ich mir ja erspielt. Und wenn ich mal was machen würde, gehe ich davon aus, dass man mich fragt, wer der Bassist sein soll. Da gibts für mich keine Diskussion, dass ich entscheide, wer der Bassist ist. Und wenn jemand gesetzt ist, der mir nicht taugt, würde ich definitiv nicht mitmachen. So geht’s mir mit allen Musikern, aber mit Bassisten ganz besonders. Ich bin jetzt 55 und habe so viele tolle Dinge erleben dürfen — und möchte weiterhin schöne Sachen erleben, aber mit Menschen, auf die ich Lust habe. Die Zeit ist zu kurz, um sie mit irgendwelchen Deppen zu verbringen.


Hattest du immer eine klare Vorstellung, wo du dich solo hinbewegen wolltest?


Das war ein dynamischer Prozess vom ersten Tag an, an dem ich die erste Soloband ins Leben gerufen habe. Es gibt immer wieder Stellschrauben, die ich drehe, wenn es sich nicht mehr richtig anfühlt oder mich langweilt. So ging’s mir mit der "Shapes"-Band nach einigen Jahren, die war toll, aber ich wollte mich selbst herausfordern — und dann gründete ich die" Acoustic-Shapes"Band. Dann kamen die "Kind of"-Sachen, davor "Heart of the Matter" und "Round Silence". Die Platten sind gerade wiederveröffentlicht als Dreierbox mit "Shapes".


Wird es mit der Dream Band ein Album geben?


Wenn, dann ein Livealbum. Ein Studioalbum würde ich nicht machen. Das Schöne bei einer solchen Band sind schließlich die Live-Momente. Natürlich können sie ihre Parts im Studio spielen — aber was mich am meisten freut, ist, dass da einige Weltmeister der Improvisation zusammen auf der Bühne stehen, wo sich jeden Abend im Moment was entwickeln kann. Diese Magie hast du im Studio nicht. Wir lassen einfach mal das Band beziehungsweise die Festplatte mitlaufen und gucken, was passiert. Alles kann, nichts muss. Es wäre für mich jedenfalls ein Highlight, diese Band zu dokumentieren — und wenn sie nur halb so toll klingt, wie ich mir das vorstelle, wird das ziemlich gut.


 

Mehr Infos zu Wolfgang Haffner findet man auf seiner offiziellen Website sowie der Webpräsenz seines Labels ACT.

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